Mit dem imposanten Neubau scheint der Bauboom von Neu-Oerlikon nun auch in Alt-Oerlikon angekommen zu sein. Bei manchen Alteingesessenen kommt dies weniger gut an und sorgt für Unmut.
«Furchtbar» – mit diesem Adjektiv beschreibt E. B. den neuen Franklinturm. Das 80 Meter hohe Turmhaus, das seit 2022 an der Südseite des Bahnhofs Oerlikon steht, verärgert den 69-Jährigen, der in Oerlikon aufgewachsen ist. Sein Ärger lässt sich dadurch erklären, dass ihm der Franklinturm die Aussicht von seiner Wohnung versperrt hat, wie er sagt. Doch es steckt mehr dahinter. E. B. möchte lieber anonym bleiben, denn die Menschen in der Umgebung kennen ihn.
E. B. sitzt auf einer Parkbank direkt vor dem Franklinturm. Weshalb er denn hier sei, wenn er den Turm so «furchtbar» findet, möchte der Journalist wissen. Er zieht an seiner Zigarette und antwortet daraufhin: «Meine Frau lässt sich in der Klinik untersuchen. Sie hat Magenprobleme.» Im Franklinturm befinden sich neben Büroflächen von Anwälten, IT-Firmen und weiteren Unternehmen auch ein Ärztezentrum und ein medizinisches radiologisches Institut. Das 21-Etagen-Gebäude hat die SBB rund 96 Millionen Franken gekostet.
Das neue Hochhaus scheint E. B. so fest zu stören, dass er lieber draussen wartet, als seine Frau zum Arzttermin zu begleiten.
Erstes Hochhaus stand bereits in den 1960er-Jahren
Nachdem der Zürcher Stadtrat 1954 beschlossen hatte, zur Entlastung der Stadt in Oerlikon eine Sekundärstadt zu schaffen, entstanden in Oerlikon erste Hochhäuser. In den 1960er-Jahren wurde der Bauhof – ein Büro- und Wohnhochhaus – errichtet. 1972 öffnete das 85 Meter hohe Hotel International, das später unter dem Namen Swissôtel bekannt war. Das Gebäude steht seit 2021 unter Denkmalschutz und wird zurzeit umgebaut. Ab 2025 soll es dort unter anderem ein neues Hotel und über hundert Wohnungen geben. 1981 wurde mit dem Einkaufszentrum Neumarkt ein weiteres Hochhaus fertiggestellt.

Um die Jahrtausendwende entstand nördlich des Bahnhofs der Stadtteil Neu-Oerlikon, eines der grössten städtischen Entwicklungsgebiete der Schweiz. Früher ein Industriegebiet, wurden in Neu-Oerlikon etliche Wohnungen und Büroräume gebaut. Es entstand eine architektonische Mischung aus modernen und alten industriellen Bauten.
Gleichzeitig wurde der neue Stadtteil mit eindrucksvollen Parkanlagen wie dem Oerliker Park, dem MFO-Park oder dem Wahlenpark ausgeschmückt. 2018 kam der Andreasturm, wie der Franklinturm ein SBB-Projekt, dazu. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden so in Neu-Oerlikon Tausende neue Arbeits- und attraktive Wohnplätze geschaffen.
In Alt-Oerlikon blieb der Bauboom lange aus
Mit Neu-Oerlikon nördlich der Gleise entstand südlich davon – im Gebiet zwischen dem Bahnhof, Marktplatz und Sternen Oerlikon – Alt-Oerlikon. Abgesehen von den Hochhäusern, die bereits lange vor der Jahrtausendwende errichtet wurden, blieb der grosse Bauboom dort – anders als im Norden von Oerlikon – aus. Zumindest bis jetzt. Mit dem Franklinturm scheint der Bauboom nun auch Alt-Oerlikon erreicht zu haben.
«Die Bevölkerung reagiert eher positiv auf die Veränderungen», sagt Monika Wicki, Präsidentin des Quartiervereins Oerlikon und Mitglied im Ortsgeschichtlichen Verein Oerlikon, auf Anfrage. Dabei sei es aber stets wichtig, dass die Bewohnerinnen und Bewohner frühzeitig informiert und in die Planungen einbezogen werden. Zentral sei zudem, «dass die Identität und Geschichte des Quartiers bei all diesen Veränderungen wahrnehmbar und erhalten bleibt», so Wicki.
Die Menschen nehmen die Veränderungen unterschiedlich wahr
Auf dem Oerliker Marktplatz haben sich einige Menschen bereit erklärt zu erläutern, wie sie mit den Veränderungen in Oerlikon umgehen und ob der imposante Neubau den Charakter von Alt-Oerlikon nicht massiv verändert hat.

«Nicht wirklich», findet L. M. Der ehemalige Metallbauer, der seit 1983 in Seebach wohnt, kennt Alt-Oerlikon bestens. Er half in den 1980er-Jahren mit, die Glasfassaden des Swissôtel zu sanieren. «Von der Architektur her passt der Franklinturm zum ehemaligen Hotel», sagt L. M. Und ergänzt: «Gäbe es kein Swissôtel, würde er wohl nicht passen.»
Ähnlich sieht es Mary Scherrmann. Die 65-Jährige wohnt seit über 20 Jahren in der Nähe des Sternen Oerlikon. Für sie passt das «hochmoderne» Gebäude in die Umgebung, allerdings stört sie sich etwas an der Ästhetik. «Der Franklinturm sieht recht kalt aus, als wäre er mit dem Massstab gezogen worden», so Scherrmann. Auch Monika Wicki findet: «Gegenüber dem Andreasturm ist der Franklinturm eher nüchtern und karg ausgefallen.»

L. M. denkt an die 1980er- und 1990er-Jahre zurück: «Damals gab es viel Industrie, am Abend waren Tausende von Arbeitern unterwegs.» Heute sei es sauberer und es gebe trotz des Baubooms noch immer genügend Grünplätze in der Umgebung. Wie auch Scherrmann begrüsst L. M. die Veränderungen der letzten Jahrzehnte eher.

«Einigen Menschen gehen die Veränderungen zu schnell», gesteht Quartiervereinspräsidentin Wicki. So auch E. B., dem Franklinturm-Verweigerer. Er schaut nostalgisch auf vergangene Jahrzehnte zurück. «Früher war es schöner hier. Man konnte überall mit dem Auto durchfahren und parkieren», erinnert er sich. Bis in die 1990er-Jahre sei es einigermassen gegangen, danach sei es mit den unzähligen Neubauten zu viel für ihn geworden. «Ich hasse Hochhäuser», sagt E. B.
«Alt-Oerlikon wird seinen Charakter bewahren können»
E. B. blickt pessimistisch in die Zukunft. «Ich vermute, es wird noch schlimmer.» Beruhigen könnten ihn Aussagen der Quartiervereinspräsidentin. Obwohl Türme wie das Hotel International oder der Bauhof zum «Stadtbild» Oerlikons gehören, wünsche man sich keine «totale Hochhausstadt» – also «eine Stadt, wo es nur noch solche Türme gibt und das Zusammenleben und der Austausch untereinander fast nicht mehr möglich sind», so Wicki.
In Alt-Oerlikon selber könnte der Franklinturm eines der letzten Hochhäuser gewesen sein. Es gebe nicht mehr viele Stellen, wo solche Grossprojekte möglich seien, erklärt Wicki. «Von daher wird Alt-Oerlikon, abgesehen von einigen Neubauten bei den Wohnhäusern, seinen Charakter bewahren können.»
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