Mit Yann Sommer als Vorbild: Diese Strassenfussballerin hütet das Schweizer Tor

Monica Gomes nimmt mit der Schweizer Nationalmannschaft an der Strassenfussball-Euro der Frauen teil. Bild: Lea Marti

Das Leben von Monica Gomes ist geprägt von zahlreichen Rückschlägen. Nun will die Baslerin die Schweizer Nati an der Strassenfussball-Europameisterschaft vertreten. Ein Besuch im letzten Training vor dem Turnierauftakt.


«Ihr händ no ei Minutä zum Spielä», schreit ein kleiner Junge. Er lehnt sich gegen die Bande und klammert sich an das darüberliegende Netz, das ihn vom Fussballplatz trennt. Er würde es am liebsten wegreissen, sagt der Tonfall in seiner Stimme. Schliesslich hatte die Trainerin ihm und seinen Freunden eine halbe Stunde zuvor noch versichert, dass sie den Platz nur bis 19 Uhr reserviert hat.

Acht Spielerinnen haben sich an diesem Montagabend im Rahmen eines offenen Frauenfussball-Treffs zum Kicken an der Uferstrasse in Basel versammelt. Von der Ungeduld des Jungen lassen sie sich nicht beirren und spielen weiter. Sie wollen jede verbleibende Sekunde nutzen. Denn für einige ist es die Hauptprobe für die Strassenfussball-Europameisterschaft, die am Wochenende in Basel über die Bühne geht.

Monica Gomes ist eine von ihnen. Die 40-jährige Baslerin versucht schon seit Jahren, die Schweizer Nationalmannschaft an einem grösseren internationalen Turnier zu vertreten. Immer wieder kam etwas dazwischen. Dieses Jahr soll es nun endlich klappen. Aber eben: Soll. Dass das Leben oft eine unerwünschte Richtung einschlägt, weiss Gomes nur zu gut.

Ein Unfall stellte ihr Leben auf den Kopf

Bei Trainingsbeginn ist Gomes nicht vor Ort. «Sie kommt manchmal ein bisschen zu spät», sagt Trainerin Michelle Albrecht. Also starten die Frauen ohne sie. Erst mit einer Pass-, dann mit einer Schussübung. Albrecht stellt sich ins Tor und übernimmt damit jene Position, die eigentlich für Gomes vorgesehen ist. Von dieser fehlt nach einer Viertelstunde noch immer jede Spur.

Am Hafen ist es heute ungewöhnlich still, doch plötzlich knurrt es. Ein Motorrad trifft neben dem Kunstrasen ein. Gomes zieht ihren grünen Helm ab und steigt vom Fahrzeug, das ihr so viel Freude bereitet. Das ist nicht selbstverständlich. Als sie gerade einmal zehn Jahre alt war, starb ihr Vater nach einem Motorradunfall. «Ich konnte nicht einmal Abschied von ihm nehmen», sagte Gomes bei einem Gespräch einige Stunden vor dem Training. «Sie liessen mich nicht zu ihm, weil er so schlimm aussah.» Danach sei alles anders geworden.

Die Position als Torhüterin liegt Monica Gomes. Neben Yann Sommer gehört auch Cristiano Ronaldo zu ihren Lieblingsspielern. Bild: Beat Schmid

Gomes zieht ihre Motorradjacke aus. Darunter trägt sie ein rotes Trikot von Manchester United. Auf dem Rücken steht «Ronaldo» und die Nummer 7. Damals, in den 2000er-Jahren, spielte CR7 noch beim britischen Traditionsklub, heute schiesst er seine Tore in Saudi-Arabien.

Dass Gomes den portugiesischen Superstar idolisiert, ist kein Zufall, hat sie doch einen Grossteil ihrer Kindheit auf der Iberischen Halbinsel verbracht. Mehrmals zieht sie mit ihren Eltern hin und her zwischen der Schweiz und Portugal. Die ständigen Wohnortwechsel hemmen ihre schulischen Leistungen, Gomes muss Klassen wiederholen.

Dann folgt der Tod des Vaters, der sie zusätzlich belastet. Gomes kehrt mit ihrer Mutter endgültig in die Schweiz zurück. Hier wird ihre Lernschwäche offensichtlich, sie besucht die Kleinklasse.

Gomes versucht sich später als Pflegerin und Köchin. Die Baslerin will sich beweisen, doch sie hat motorische Schwierigkeiten, ist langsamer als andere. Sie verlangt sich zu viel ab, bis sie um das Jahr 2009 psychisch und körperlich an einen Tiefpunkt gerät. Depression. «Ich wollte nicht mehr leben», sagt Gomes.

Die Torhüterin will an die Weltmeisterschaft

Aus ihrem kleinen Harry-Potter-Rucksack zückt Gomes ein Paar rote Handschuhe. Sie stülpt sie über ihre Hände und bewegt sich in Richtung Spielfeld. Eine Mitspielerin umarmt sie, einer anderen gibt sie einen Handschlag. Dann, ohne sich vorher aufzuwärmen, fragt sie Trainerin Albrecht: «Kann ich ins Tor?» Gomes ist sich ihrer Position im Spiel bewusst – und tritt entsprechend auf. Sie bewegt sich auf der Linie, hechtet. Während die Spielerinnen aus zwei Metern Distanz auf das Tor ballern, zuckt Gomes kein einziges Mal.

Keine Angst vor dem Ball: Monica Gomes bereitet sich darauf vor, einen Schuss abzuwehren. Bild: Robin Walz

Auf dem Fussballplatz ist Gomes voll in ihrem Element. «Durch den Fussball kann ich vom Alltag abschalten», sagt die 40-Jährige. Seit sie 13 Jahre alt ist, rennt sie dem Ball nach. Sie war Spielerin des FCB-Dream-Teams, der Inklusionsmannschaft der Bebbi, bevor sie vor einigen Jahren zum Verein Surprise wechselte. Dort nimmt sie an wöchentlichen Trainings und verschiedenen Turnieren teil.

Ihr Ziel: am Homeless World Cup im August die Schweiz zu vertreten. Als Torhüterin, so wie Yann Sommer, neben Ronaldo ihr zweites Idol. Nur einmal dürfen Spielerinnen an diesem Highlight teilnehmen, so schreibt es das Reglement vor. Für Gomes blieb dieser Wunsch bisher unerfüllt.

Die Women’s Streetfootball Euro 2025

Am 21. und 22. Juni findet im Leichtathletikstadion St. Jakob die Women’s Streetfootball Euro 2025 statt. Sie orientiert sich am Homeless World Cup, der einmal jährlich über die Bühne geht. In Basel treten dreizehn Länder im Strassenfussball gegeneinander an. Die Partnerorganisationen der jeweiligen Länder stellen ihre eigene Nationalmannschaft. In der Schweiz ist das der Verein Surprise, der gleichzeitig Organisator des Turniers ist.

Die Teams bestehen aus Frauen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden: Neben Obdachlosigkeit gehören dazu auch Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit, Flucht, Armut oder Sucht. Mit dieser Spezialausgabe des Homeless World Cup will Surprise die Aufmerksamkeit, die der Frauenfussball aufgrund der Women’s Euro erhält, nutzen und ein Zeichen gegen Armut und Ausgrenzung setzen. «Auch sollen die Spielerinnen, die am Rand der Gesellschaft stehen, durch dieses positive Erlebnis neue Energie und Hoffnung schöpfen», sagt Max Schmid, Co-Projektleiter des Turniers.

Da war die Covid-Pandemie, als die Organisatoren das Turnier absagen mussten. Da war die Nacken- und Schulterverletzung nach einem Unfall. Und da war ihre Tochter, heute sieben Jahre alt, ein Mädchen mit besonderen Bedürfnissen.

Jedes Mal, wenn Gomes in den vergangenen Jahren an einem grossen internationalen Turnier teilnehmen wollte, machte ihr ein unerwartetes Ereignis einen Strich durch die Rechnung. Das könnte sich 2025 ändern. Mit der Teilnahme an der Euro in Basel. Und dann, wenn nichts dazwischenkommt, am Homeless World Cup in Oslo.

«Ich gebe nicht schnell auf»

Abschluss-Match. Vier gegen vier, wie beim kommenden Strassenfussball-Turnier. Gespielt wird mit fliegendem Goalie, hat Trainerin Albrecht zuvor bestimmt. Gomes versucht, mit einem Übersteiger an ihrer Gegenspielerin vorbeizudribbeln, bleibt jedoch hängen. Kurz darauf verliert sie erneut den Ball. Ihre Mitspielerin wäre frei gestanden und hätte wohl ein Tor schiessen können. «Monica, spiel schneller ab», ruft ihr Albrecht zu. Gomes verzieht ihr Gesicht.

Sie ist sich Rückschläge im Leben gewohnt und weiss, wie schwer diese auf den Schultern lasten können. Gomes hat aber auch gelernt, damit umzugehen. Als sie in die Depression fiel und ihre Arbeit aufgeben musste, wehrte sie sich erst gegen den Bezug der Invalidenrente. Zu gross war die Scham. Mit der Zeit nahm sie es hin. Und blickte nach vorn.

Monica Gomes hat lernen müssen, mit Rückschlägen umzugehen. Der Fussball hat ihr dabei geholfen. Bild: Lea Marti

Heute arbeitet Gomes – ergänzend zur Rente – als Kurierin. Nicht mehr bei den «Orangen», wie sie ihren alten Arbeitgeber «Just Eat» bezeichnet. Zu schwer war ihr der Rucksack, also legte sie ihn ab. Nun will sie sich bei einer anderen Firma bewerben. «Ich gebe nicht schnell auf», sagt sie.

Der kleine Junge und seine Kameraden rennen auf das Feld. Das Training ist beendet. Gomes zieht die Handschuhe aus, klatscht ihre Teamkolleginnen per Handschlag ab. Nach den Ballverlusten hat sie sich wieder aufgerappelt, ein Tor ist ihr sogar noch gelungen. Gomes packt den Harry-Potter-Rucksack und legt ihn sich über die Schultern. Nächstes Mal wird sie ihn am Wochenende an der Euro wieder brauchen.


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Die Originalversion dieses Artikels wurde hier veröffentlicht.

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