Max Bodenmann nimmt erstmals zum Streit um seine Israel-Kritik im Dietiker Gemeinderat Stellung

Gemeinderat Max Bodenmann vor dem Stadthaus in Dietikon. Als Solidaritätsbekundung mit den Palästinensern trägt er eine Kufiya. Bild: Fabio Baranzini

Mit seinen Aussagen zum Nahostkonflikt im Dietiker Gemeinderat hat Max Bodenmann einige Kolleginnen und Kollegen verärgert. Im Interview spricht er über Israel, Palästina und darüber, was das mit Dietikon zu tun haben soll.


Max Bodenmann ist in Dietikon eine polarisierende Figur. Seit dem 7. Oktober 2023 hat der Gründer der Gruppierung «Gegen Ausgrenzung, Menschenwürde für alle (Gamfa)», die er im Dietiker Parlament mit einem Sitz vertritt, bei Gemeinderatssitzungen immer wieder seine Haltung zum Nahostkonflikt kundgegeben. Besonders auffallend ist dabei seine scharfe Kritik gegen die aktuelle Politik Israels. Mit der palästinensischen Sache beschäftigt er sich seit seiner Jugend.

Aufgrund seiner Äusserungen im Dietiker Gemeinderat erntete Bodenmann selber Kritik und sah sich mit Vorwürfen wie Rechtfertigung von Terrorismus und Gewalt konfrontiert. Im Februar wurde die Öffentlichkeit im Gemeinderat von seiner Rede ausgeschlossen – ein unzulässiges Vorgehen, wie der Dietiker Bezirksrat später entschied. Im Interview im Dietiker Café Damaskus nimmt Bodenmann erstmals Stellung zu den Vorwürfen und den Vorfällen im Gemeinderat – diese waren dort letzte Woche erneut ein Thema: Gemeinderatspräsident Sven Johannsen (GLP) hatte Bodenmann wegen seiner Äusserungen zum Nahostkonflikt angezeigt, die Staatsanwaltschaft beendete die Sache aber mit einer Nichtanhandnahmeverfügung.

Vor drei Wochen hat der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu erlassen. Gehört er nach Den Haag?

Ja, unbedingt.

Weshalb?

Weil er als Machthaber von Israel schon seit Jahren internationale Gesetze aufs Gröbste missachtet. Diese Missachtung hat zur Folge, dass Leute unterdrückt, entrechtet und getötet werden. Er ist wahrscheinlich ein Kriegsverbrecher. Deshalb hat ihn der Internationale Strafgerichtshof auch angeklagt.

Zur Person
Bild: Fabio Baranzini

Max Bodenmann sitzt seit 2022 im Dietiker Gemeinderat. Er vertritt die Gruppierung «Gegen Ausgrenzung, Menschenwürde für alle (Gamfa)». Der Politiker, der im Parlament für seine scharfe Kritik am Staat Israel bekannt ist, hat selber jüdische Wurzeln: Seine Urgrossmutter war praktizierende Jüdin. Bodenmann ist seit einigen Jahren bekennender Muslim.

Akzeptieren Sie auch den Haftbefehl gegen den Hamas-Kommandanten Mohammed Deif?

Ja, wobei das ein bisschen schwieriger ist. Er setzt sich für die Befreiung der Palästinenser von der Unterdrückung durch Israel ein. Nach internationalem Recht dürfen Palästinenser Widerstand leisten, auch gewalttätigen Widerstand. Ich persönlich bevorzuge immer, dass man das auf friedliche Art und Weise macht. Aber die Palästinenser entscheiden selber, in welcher Form sie sich wehren.

Das internationale Recht spricht sich aber auch für den Schutz von Zivilisten aus. Militante Palästinenser der Hamas und anderer Gruppierungen haben am 7. Oktober 2023 rund 1200 Menschen getötet, mehrheitlich Zivilisten, und 251 Geiseln in den Gaza-Streifen verschleppt.

Es tut mir leid, dass so viele Menschen, vor allem Zivilisten, ermordet wurden und werden. Diese Tatsache auf den 7. Oktober 2023 zu reduzieren, ist eine grobe Vereinfachung und Einseitigkeit. Das israelische Militär und gewalttätige Siedler töten schon sehr lange palästinensische Zivilisten in viel grösserer Zahl. Um Frieden zu finden, müssen beide Seiten mit kriegerischen Handlungen aufhören. Je schneller, desto besser.

Zwei Monate nach Kriegsbeginn äusserten Sie im Dietiker Gemeinderat heftige Kritik gegenüber Israel, bezeichneten dieses unter anderem als «zionistischen Apartheidstaat». Peter Metzinger (FDP) sagte auf Anfrage, dass der Begriff «Zionisten» von der Hamas und der Hisbollah verwendet werde, um Israels Existenzrecht abzuerkennen – und dass Sie, mit der Übernahme des Begriffs, Terrorismus und Gewalt rechtfertigen. Was ist Ihre Antwort?

Er müsste mal die Grundlagenschriften der Zionisten lesen. Was ich an den Zionisten schätze: Sie haben immer ihre Absichten offengelegt. Sie hatten immer die Absicht, die Palästinenser zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer, die bei der Ankunft der Zionisten bereits dort lebten, zu vertreiben. Es war nie eine Option, friedlich mit den Palästinensern zusammenzuleben. Der Zionismus ist eine Ideologie, die zutiefst rassistisch ist, weil sie ihre Leute höherstellt als alle anderen Menschen.

Zionismus

Zionismus bezeichnet die jüdische Nationalbewegung, die im 19. Jahrhundert infolge der Judenverfolgung in Europa entstand und die die Gründung eines jüdischen Staats in Palästina anstrebte. Nach der Gründung des Staats Israel im Jahre 1948 spielte der Zionismus eine wichtige Rolle im Selbstverständnis Israels. Kritiker sehen darin ein siedlerkoloniales Projekt, das von Anfang an die Vertreibung der dort ansässigen Palästinenser beabsichtigte.

Nie eine Option? Als die israelischen Regierenden Jitzchak Rabin, Schimon Peres und Palästinenserführer Jassir Arafat 1994 gemeinsam den Friedensnobelpreis bekamen, schien friedliche Koexistenz durchaus möglich …

Von dem, was damals in Oslo und Camp David abgemacht wurde, hat nur Israel profitiert. Die Palästinenser haben nichts erhalten, ihre Situation hat sich seit diesen Abkommen nur in eine Richtung entwickelt: Es wurde immer schlimmer. Vielleicht wollte Rabin einen «Frieden» mit den Palästinensern, vielleicht auch nicht. Seine Ermordung durch einen fanatischen jüdischen Zionisten zeigt jedoch, dass diejenigen, die einen Ausgleich mit den Palästinensern verhindern wollten und auch heute noch wollen, vor Mord – auch an den eigenen Leuten – nicht zurückschrecken.

Sie sprechen Ihre Haltung zu Zionismus, Israel und dem Krieg in Gaza immer wieder mit persönlichen Erklärungen im Gemeinderat an. Sind Sie mit diesem Thema dort nicht auf der falschen politischen Ebene?

Nein. Ich mache in meinen zweiminütigen Erklärungen nichts anderes als das, was andere Parlamentarier auch machen. Ich vertrete eine gewisse Schicht der Bevölkerung. Dazu gehören auch Menschen mit familiären Wurzeln im Nahen Osten und allgemein Menschen, die einen gerechten Frieden im Nahen Osten wollen, die sich daran stören, was Israel mit dem palästinensischen Volk macht. Das heisst, ich sage etwas im Namen von jenen, die mich gewählt haben. Wenn das demokratisch nicht mehr möglich ist, dann können wir aufhören mit dem ganzen Parlamentsbetrieb.

Sie wünschen sich also, den Nahostkonflikt im Gemeinderat zu besprechen?

Nein. Im Gemeinderat soll man Themen besprechen, welche die Gemeinde Dietikon betreffen. Aber: In diesen zwei Minuten soll man durchaus Sachen thematisieren dürfen, die Leute aus Dietikon beschäftigen, auch wenn sie mit der Dorf- oder Stadtpolitik direkt nichts zu tun haben.

Mit Ihren persönlichen Erklärungen sind Sie auf Gegenwind gestossen. Im Februar stellte Metzinger den Antrag, während Ihrer Erklärung die Öffentlichkeit auszuschliessen. Der Antrag wurde mit 31 Ja-Stimmen zu 0 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. Wie fühlten Sie sich dabei?

Bevor ich ins Parlament gehe, bete ich jeweils. Ich bin also in aller Ruhe in den Saal gegangen, und als es zu diesem Entschluss kam, habe ich das ruhig zur Kenntnis genommen. Aber ich wusste bereits dort, dass ich das vor den Bezirksrat bringe.

Das haben Sie Ende Februar gemacht, als Sie eine Beschwerde beim Bezirksrat Dietikon eingereicht haben. Dieser hat Ihnen im April Recht gegeben: Der Ausschluss der Öffentlichkeit war unzulässig. Ein Erfolg?

Es war für mich völlig klar, dass ich Recht bekomme, weil dieser Entscheid des Parlaments juristisch nicht tragfähig sein konnte. Nachträglich haben sich dann auch drei Parlamentarierinnen und Parlamentarier persönlich bei mir entschuldigt, dass sie für den Ausschluss der Öffentlichkeit gestimmt hatten. Und als im April im Gemeinderat meine Rede unterbrochen wurde und über den Wortentzug abgestimmt wurde, stellten sich bereits 13 Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf meine Seite.

Max Bodenmann sitzt auf einer Bank bei der Nötzliwiese an der Limmat – an einem seiner Lieblingsorte in Dietikon. Bild: Fabio Baranzini

Sie sitzen seit 2022 im Parlament und vertreten die Gruppierung «Gegen Ausgrenzung, Menschenwürde für alle» (Gamfa), die Sie 2021 ins Leben gerufen hatten, damals noch unter dem Namen «Free Gaza Dietikon». Was waren die Beweggründe für die Gründung?

Im Mai 2022 hat Israel wieder einmal Gaza bombardiert, und es gab über 200 Tote – natürlich, wie immer, deklariert als Selbstverteidigung. Und dort fand ich: Ich will jetzt nicht mehr nichts machen. Dann habe ich zusammen mit ein paar Leuten die Gruppierung gegründet.

Weshalb haben Sie nach den Wahlen den Namen geändert?

Ich habe schon 2022 in einem Interview mit der Limmattaler Zeitung gesagt, dass sich «Free Gaza» nicht bloss auf den Gaza-Streifen bezieht, sondern überhaupt auf die Befreiung von Menschen vor Unterdrückung. Diese gibt es noch an vielen Orten der Welt. Wir wollten nach den Wahlen den Namen etwas breiter gestalten. «Gegen Ausgrenzung» richtet sich eher nach innen: Gedeihlich wird es in einer Gemeinde dann, wenn wir etwas gemeinsam machen und alle Menschen mitnehmen. «Menschenwürde für alle» ist eher global ausgerichtet: Die Menschheit hat noch immer nicht begriffen, dass das aktuelle Modell, in dem die einen die anderen ausbeuten, keine Zukunft hat.

In unserem Vorgespräch haben Sie erwähnt, dass Sie in den vergangenen Monaten mehrmals im Internet attackiert wurden. Können Sie das erläutern?

Ich habe mich dazu geäussert, dass ich es verheerend finde, wie Israel jeden Tag Dutzende, wenn nicht Hunderte Palästinenser tötet. Dann wurde mir vorgeworfen, ich sei ein Judenhasser, an meinen Händen klebe Blut und ich wolle alle Juden umbringen. Ich weiss nicht, woher die Leute das nehmen, ich habe selber jüdische Wurzeln. Es stört mich, wenn Menschen absichtlich nicht zwischen Antizionismus, Anti-Israel und Antisemitismus unterscheiden wollen. Das sind drei verschiedene Sachen.

Was ist denn Ihrer Meinung nach der Unterschied?

Antisemitismus ist eine Ablehnung von Juden nur deshalb, weil sie Juden sind. Anti-Israel ist ein politischer Begriff. Er richtet sich gegen die (Un-)Taten des Staates Israel, in gleichem Masse wie auch andere Staaten beurteilt und verurteilt werden. Es hat mit Religion nichts zu tun. Antizionismus ist ebenfalls ein politischer Begriff. Er richtet sich gegen die Ideologie des Zionismus, also gegen eine rassistische Ideologie, bei der die Herrschenden zwingend die Beherrschten unterdrücken müssen. Noch etwas: Ich habe Mühe, zu sagen, dass Zionisten per se auch gläubige Juden sind. Indem sich die Zionisten so aufspielen, ziehen sie wesentliche Grundsätze der jüdischen Religion in den Dreck.

Sie sagen, dass Zionisten das Judentum in den Dreck ziehen. Das klingt, als wäre der Zionismus Schuld am zunehmenden Antisemitismus. Ist das aus Ihrer Sicht der Grund für den zunehmenden Antisemitismus?

Nein, Antisemitismus ist ja doch einiges älter als Zionismus. Das ist in erster Linie ein europäisches Phänomen, aber auch unter Muslimen hat – seit der gewaltsamen Gründung des Staates Israel – der Antisemitismus leider zugenommen. Antisemitismus gibt es auch in der Schweiz, Hass gegen Muslime ist noch mehr verbreitet, und gegen Menschen mit anderer Hautfarbe ist der Hass am häufigsten. Dass sehr viele Medien die Tatsachen verdrehen und viel häufiger über tatsächlichen oder vermeintlichen Antisemitismus berichten, ist ein grosses Problem, da es zur Verzerrung der Wahrnehmung bei vielen Menschen führt.

Rassismus in der Schweiz

Gemäss dem Rassismusbericht 2023 der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) gab es 2023 eine starke Zunahme an rassistischer Diskriminierung in der Schweiz. Dies sei unter anderem auch auf den Krieg im Nahen Osten zurückzuführen, der rassistische und antisemitische Dynamiken in der Gesellschaft verstärkt habe. Die meisten Vorfälle betrafen Ausländerfeindlichkeit (387), gefolgt von Anti-Schwarzem Rassismus (327), Rassismus gegen Menschen aus dem arabischen Raum (69), antimuslimischem Rassismus (62) und Antisemitismus (46).

Was hat das bei Ihnen für Emotionen ausgelöst, als Sie als «Judenhasser» bezeichnet wurden?

Ich nehme solche Aussagen nicht persönlich. Ich kann sauber zuordnen, wohin das gehört – und das gehört nicht zu mir.


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