Arbeitsplätze in der Höhe: Ersetzt der mobile Lift bald die Leiter? Ein Selbstexperiment

Trotz Höhenangst oben angekommen: Der Autor hat einen mobilen Lift der Dietiker Firma High Step Systems getestet. Bild: Andrea Zahler

Mithilfe eines Dietiker Lifts werden im brasilianischen Regenwald Luftmessungen für die Klimaforschung durchgeführt – auf Höhen von bis zu 325 Metern. Der Autor hat den Aufzug in Dietikon getestet.


Erst muss das 50 Kilogramm schwere Liftgerät an der Schiene befestigt werden. Das erfordert die Muskeln von gleich zwei Mitarbeitern. Dann geht es zügig. Ich binde mich mit meinem Auffanggurt, den ich am Körper trage, ebenfalls an der Schiene fest, steige auf die kleine Plattform des Lifts und drücke mit meinen Händen auf die beiden roten Knöpfe.

Innert wenigen Sekunden bin ich auf 10 Metern Höhe und habe beste Aussicht auf die Silbern. Der mobile Lift der Dietiker Firma High Step Systems soll die Arbeit in der Höhe erleichtern, beispielsweise für Monteure oder Techniker, die auf Strommasten rumschrauben. Für mich bedeutet der Lift erst mal Spass. Anders als bei einem klassischen Lift habe ich stets die Kontrolle, kann per Knopfdruck wunschgemäss nach oben oder unten fahren. Achterbahngefühle kommen auf.

Das Liftfahren fühlt sich speziell an. Hier bin ich nicht in einer geschlossenen Box, sondern spüre die kalte Luft an meinen Händen. Zwar weiss ich, dass ich an der Schiene gesichert bin. Dennoch kriege ich, je weiter ich hochfahre, ein mulmiges Gefühl. Noch ein paar Meter mehr würde ich aufgrund meiner Höhenangst wohl kaum aushalten. Die Arbeit in der Höhe ist nichts für mich.

  • Der mobile Lift hat oben und unten jeweils zwei Schwenkrollen. Diese werden auf der Rückseite der Schiene eingehängt, um den Lift zu befestigen. Bild: Andrea Zahler

An der Testvorrichtung in Dietikon probiert das Unternehmen seine Prototypen aus. Dass beim neuen Modell, das ich selbst getestet habe, die Software noch verbessert werden muss, zeigt mein Selbstexperiment. Auf dem Weg in den Himmel stoppt der Testlift gleich mehrere Male – Vorführeffekt. «Kurz warten, dann beim Bildschirm auf ‹Reset› drücken», instruiert mich Geschäftsführer Alexander Luft. Dann kann die Luftfahrt weitergehen.

In Dietikon testet die Firma nicht nur ihre Produkte, sondern entwickelt sie weiter. «Wir sind wie ein Ingenieurbüro», sagt Luft. Erst wenn alle Sicherheitsstandards erfüllt sind, kommt ein neues Produkt auf den Markt.

Zur Person
Bild: Andrea Zahler

Alexander Luft ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Nach seinem Schulabschluss ist er mit Anfang 20 in die Schweiz gezogen und hat an der ETH Maschinenbau studiert. Seit 2019 ist Luft Geschäftsführer der Dietiker Firma High Step Systems.

Gemäss Luft ist High Step Systems das einzige Unternehmen weltweit, das solche Steiggeräte anbietet. In China gebe es allerdings einen Konkurrenten, der den Lift kopiert hat. «Wir haben das patentrechtlich abklären lassen, aber es ist schwierig, gegen sie vorzugehen», sagt Luft. Weil der Konkurrent bisher nur im chinesischen Markt tätig sei, bereite das den Dietikern noch nicht so viele Sorgen.

Dietiker Lift beim höchsten Fahnenmast der Welt

Während es noch eine Weile dauern dürfte, bis das von mir getestete Modell auf den Markt kommt, sind frühere Modelle der Dietiker Firma bereits im Einsatz – weltweit. Zum Beispiel in Brasilien, wo die Firma den «ATTO-Tower» mit Schiene und Aufzug ausgestattet hat. Das ist ein 325 Meter hoher Turm mitten im Amazonas-Regenwald, auf welchem Luftmessungen für die Klimaforschung durchgeführt werden. Etwa zwölf Minuten dauert die Fahrt bis ganz nach oben.

In Brasilien dauert die Luftfahrt bis zur Spitze des «ATTO-Towers» ganze zwölf Minuten, bei der Testvorrichtung in Dietikon nur wenige Sekunden. Bild: Andrea Zahler

Oder in Ägypten, wo der Lift der Dietiker Firma die Wartungsarbeiten auf dem höchsten Fahnenmast der Welt ermöglicht. In Paris wird der Aufzug für den Bau der neuen Seilbahn eingesetzt. «Heute machen wir über 90 Prozent unseres Umsatzes im Ausland», sagt Luft.

Das Dietiker Steigsystem kommt auch bei Windkraftanlagen, Strommasten und einer Brücke zum Einsatz. Für den Gang in die Tiefe bietet die Firma ebenfalls Lösungen an. So wurde beispielsweise im Hamburger Hafen eine Schiene installiert, um mit dem Lift in einen Schacht zu fahren. Die wichtigsten Kunden sind aber nach wie vor, wie bei der Gründung 2007, Stromnetzbetreiber. «Am meisten Kilometer Schiene verkaufen wir auf Strommasten», sagt CEO Luft.

Dass zu diesen Kunden auch «State Grid of China» oder zukünftig «Saudi Electric» gehören, also zwei grosse staatliche Firmen in Saudi-Arabien und China, löst bei Luft keine Bedenken aus. Im Gegenteil: «Wir helfen mit unseren Produkten, die Arbeitssicherheit in diesen Ländern zu erhöhen», findet er. Über eine mögliche Beteiligung seiner Firma am Stadionbau für die Fussballweltmeisterschaft 2034 in Saudi-Arabien hat sich der Geschäftsführer noch keine Gedanken gemacht. Denn beim Bau von Gebäuden, zum Beispiel Fussballstadien, komme das System noch nicht zum Einsatz.

Der Fallschutzläufer (links im Bild) soll die Arbeitssicherheit erhöhen. Davon profitieren gemäss CEO Alexander Luft auch Arbeiterinnen und Arbeiter in Ländern wie China oder Saudi-Arabien. Bild: Andrea Zahler

Die meisten Kunden kommen aber gemäss Luft aus den europäischen Nachbarländern, allen voran Deutschland. In Zukunft wolle man ausserdem in den amerikanischen Markt expandieren. Weil dort andere Sicherheitsstandards gelten, müsse die Firma jedoch alle Produkte neu zertifizieren lassen, was wiederum viele Ressourcen beanspruche.

Unfall inspirierte den Gründer

Das Unternehmen ist international ausgerichtet. Angefangen hat das Geschäft aber in der Schweiz Anfang der 2000er-Jahre – mit einem Kirschbaum. «Wilhelm Maurer, der Vater des Gründers der Firma, ist beim Kirschenpflücken von der Leiter gefallen und musste hospitalisiert werden», so Luft. Daraufhin habe Maurer, der damals schon eine kleine Ingenieurfirma betrieb, seinen Sohn beauftragt, eine sicherere Lösung als die Leiter zu entwickeln. «So ist die Idee der vertikalen Schiene entstanden, an der man permanent gesichert ist», sagt Luft.

2007 gründete Andreas Maurer High Step Systems. Ein Jahr später rüstete die Firma bereits die ersten Strommasten des Schweizer Energiekonzerns Axpo aus. Die Schienen, die man damals installierte, wurden aber nicht mit einem Lift geliefert – der kam erst 2015 auf den Markt –, sondern mit mobilen Pedalen.

Auch diese habe ich ausprobiert. Das Befestigen der Pedale an der Schiene ist einfacher als beim Lift, weil dieser viel mehr Gewicht hat. Dafür ist das Auf- und Absteigen um einiges komplizierter, hier gibt es keinen Knopfdruck. Nachdem ich mit den Füssen in die Pedale hineinschlüpfe und mich mit Schlaufen befestige, kann’s losgehen.

Ich hebe meine rechte Ferse an und ziehe mein Bein etwa 50 Zentimeter in die Höhe, ehe ich die Ferse wieder senke. Indem ich das Pedal mit der Ferse belaste, klemmt es automatisch wieder in die Schiene ein. Dasselbe mache ich dann mit links. Dann wieder mit rechts. Wie beim Treppensteigen. Schritt für Schritt steige ich in die Höhe, bis ich etwa zwei Minuten später zehn Meter weiter oben ankomme.

Alexander Luft zeigt es vor: Mit den Steigschuhen klettert er nach oben. Bild: Andrea Zahler

Bis ich den Dreh raushabe, dauert es ein bisschen. Sobald das der Fall ist, machen die Bewegungen Spass. Doch oben angekommen, ist es plötzlich nicht mehr so lustig. Beim Lift hatte ich noch eine Plattform und konnte mich am Steuer festhalten. Hier muss ich die Schiene anpacken und stehe auf zwei kleinen Pedalen. Es fühlt sich an, als schwebe ich in der Luft.

Fazit des Selbstexperiments: Sowohl der Lift als auch die Pedale sind praktisch. Doch Menschen mit Höhenangst kann ich das nicht empfehlen, besonders die zweite Variante.

Wie das System funktioniert, zeigt der Autor im Video. Schnitt: Timea Meier & Oliver Healy, Kamera: Andrea Zahler

Ob es nach den Pedalen und dem Lift ein neues Steiggerät geben wird, lässt Geschäftsführer Luft offen. «Die Schiene bleibt gleich, aber die Geräte darauf können sich immer weiterentwickeln.» So habe man bereits Prototypen von kleinen Robotern hergestellt. Mit Kameras könnten diese Roboter beispielsweise Strommasten inspizieren, sodass keine Arbeiterinnen und Arbeiter mehr hoch- und runtersteigen müssten. «Weil wir ein kleines Team sind und begrenzte Ressourcen haben, ist das aber noch Zukunftsmusik für uns», so Luft.

Bei einem Sturz fällt man nicht weit

Der Schwerpunkt liege deshalb darauf, die bereits vorhandenen Geräte weiterzuentwickeln. Immerhin bringen diese gemäss Luft bereits viele Vorteile gegenüber klassischen Systemen wie der Leiter mit sich. «Mit unserem System können Arbeiterinnen und Arbeiter ergonomisch steigen», sagt der CEO. Er nennt das Beispiel eines Kranführers, der Schulterprobleme hatte und die Leiter nicht mehr hochklettern konnte. Dank den Steigschuhen, durch welche er die Schultern nicht belasten muss, habe er seiner Arbeit wieder nachgehen können.

Ein weiterer Vorteil des Systems sei die tiefe Fallhöhe bei einem Sturz. Der Auffanggurt wird mit einem Fallschutzläufer verbunden. Diesen wiederum befestigt man an der Schiene. Beim Hochgehen läuft der Fallschutzläufer der Schiene entlang mit einem mit. Fällt man, hakt er sofort in der Schiene ein.

Mit dem Fallschutzläufer sind Arbeiterinnen und Arbeiter permanent an der Schiene gesichert. Das soll die Sicherheit beim Besteigen von hohen Bauten erhöhen. Bild: Andrea Zahler

«Das führt dazu, dass man im Falle eines Sturzes maximal einen halben Meter in den Auffanggurt fällt», sagt Luft. Bei der Leiter hingegen gebe es teilweise Fallhöhen von mehreren Metern. «So können Arbeitsunfälle vermieden werden.» Unfälle mit dem Dietiker System habe es noch keine gegeben.

Ausserdem erschwert das System gemäss Luft den Zugang von Unbefugten. Weil der Lift und die Pedale mobil sind, sprich vor der Nutzung montiert und danach entfernt werden, können sie von Unbefugten nicht benutzt werden. «Und bei unserer Schiene kann man nicht so einfach hochklettern», sagt Luft.

Fazit des Selbstexperiments: Die Geräte sind praktisch, aber nichts für Menschen mit Höhenangst. Bild: Andrea Zahler

Bis die Steiggeräte der Dietiker Firma die Leiter ersetzen, dürfte es aber noch eine Weile dauern. Denn potenzielle Kunden zu überzeugen, sei die grösste Herausforderung. «Der Wechsel von der Leiter zu unserem System ist fast wie von der Kutsche zum Tesla, dazwischen gibt es nichts», so Luft. Trotzdem will Luft weiter Überzeugungsarbeit leisten: «Wir wollen, dass uns die Menschen als bessere Alternative zur Leiter sehen.»


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