Tenzin Tibatsang will den Menschen mit seinen Momo die tibetische Kultur vermitteln

Tenzin Tibatsang, Gründer und Geschäftsführer von Tenz Momo, in der zentralen Produktion in Schlieren. Bild: Andrea Zahler

Tenz Momo ist für seine tibetischen Teigtaschen bekannt und hat seit 2022 seinen Sitz in Schlieren. Im Interview spricht der Gründer über seine Kindheit, die Lage in Tibet und das Gefühl, die eigenen Momo im Migros-Regal zu sehen.


In der Region Zürich sind sie längst im Trend: Die gefüllten Teigtaschen von Tenz Momo, die entweder gebraten oder gedämpft serviert werden. Seit 2022 ist das Schweizer Food- und Drinks-Unternehmen mit tibetischen Wurzeln, das in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist, in Schlieren zu Hause. An der Wiesenstrasse befinden sich nicht nur die Büroräumlichkeiten, sondern auch die zentrale Produktion und eine Take-away-Filiale.

Die Fäden der Lebensmittelfirma zieht Tenzin Tibatsang, Gründer und Geschäftsführer von Tenz Momo. Der 34-Jährige ist in Tibet geboren und im Alter von neun Jahren in die Schweiz gekommen. Der Autor hat ihn in Schlieren für ein Interview getroffen.

Wann haben Sie zum ersten Mal Momo gefaltet?

Das weiss ich nicht einmal mehr genau. Ich bin damit aufgewachsen. Damals habe ich das Produkt aber noch anders angeschaut als heute.

Inwiefern?

Momo gab es immer an speziellen Anlässen wie Geburtstagen, oder wenn Leute zu Besuch waren. Es ist ein Zeichen von Wertschätzung. Denn in Tibet werden Momo mit sehr viel manuellem Aufwand zubereitet, und die ganze Familie kommt dabei zusammen. Jede Person hat ihre Rolle – ich zum Beispiel war für das Ausrollen des Teigs verantwortlich. Die Zubereitung stand oft mehr im Fokus als das Essen selbst. Das sind schöne Kindheitserinnerungen.

Zur Person
Bild: Andrea Zahler

Tenzin Tibatsang ist 1990 in der tibetischen Hauptstadt Lhasa geboren. Im Alter von fünf Jahren ist er mit seiner Familie aus Tibet geflohen. Seine Eltern sind über Nepal und Indien direkt in die Schweiz geflüchtet, während Tibatsang in Dharamsala, Indien, mehr als vier Jahre lang in einem SOS-Kinderdorf lebte und dort zur Schule ging. Mit neun Jahren ist Tibatsang mittels Familiennachzug in die Schweiz gekommen. Der Unternehmer hat eine Grafik-Lehre absolviert und später als Grafiker bei Jung von Matt gearbeitet. In seiner Freizeit engagierte er sich für den Verein Tibeter Jugend in Europa, in dem er von 2012 bis 2013 im Vorstand war. Später hat Tibatsang das Unternehmen Tenz Momo gegründet, das er bis heute führt.

Und heute verkaufen Sie Momo in der Schweiz. Wie ist es dazu gekommen?

Da muss ich etwas ausholen. Ich bin im Alter von neun Jahren in die Schweiz gekommen und habe mich relativ schnell integriert. Nach einigen Jahren habe ich aber gemerkt, dass ich mich zu stark von meiner Ursprungskultur entfernt habe, ich konnte mich zum Beispiel auf Tibetisch gar nicht mehr richtig ausdrücken. Das fand ich schade. Also bin ich mit 14 dem Verein Tibeter Jugend in Europa beigetreten. Dort war ich viele Jahre aktiv und suchte später nach Wegen, um diverse kulturelle tibetische Projekte und Schulen in Tibet finanziell zu unterstützen. In dieser Zeit arbeitete ich als Grafiker bei einer Werbeagentur, und dort hatten wir die Tradition, einmal pro Woche gemeinsam Momo im Restaurant zu essen. So entstand die Idee, dass ich diese Momo selbst zubereiten kann und mit dem Geld, das ich dafür erhalte, die Projekte mitfinanziere.

Wie verwandelte sich diese Idee zu einem Unternehmen?

Das Ganze hat klein angefangen. Ich war erst an Quartierfesten und Jugendanlässen und habe Momo-Kurse angeboten. Das habe ich nebenbei gemacht. Plötzlich habe ich das Produkt komplett neu entdeckt, es wurde eine Leidenschaft. Spätestens als meine Ferientage aufgebraucht waren, musste ich mich entscheiden – und habe dann meine Stelle gekündigt, um mich komplett auf die Momo zu fokussieren. Kurze Zeit später, 2014, war ich am Street Food Festival in Zürich dabei. Das war ein grosser Erfolg. Anschliessend habe ich mit der Planung eines kleinen Restaurants im Lochergut begonnen, das ich 2017 eröffnet habe. Danach ist das schrittweise weiter gewachsen.

Heute zählt Tenz Momo 212 Mitarbeiter und hat die zentrale Produktion in Schlieren. Wie viele waren es 2017?

Am Anfang war es eine One-Man-Show. Freunde haben immer wieder ausgeholfen, aber bis Ende 2016, also bis kurz vor der Eröffnung des ersten Restaurants, war ich ziemlich alleine unterwegs. Dann habe ich angefangen, einzelne Leute anzustellen.

Tenzing Tibatsang steht vor der Take-away-Filiale in Schlieren. Hier ist auch die zentrale Produktion von Tenz Momo. Bild: Andrea Zahler

Woher kommen Ihre Angestellten?

Die meisten, etwa 90 Prozent, sind Tibeterinnen und Tibeter. Viele waren früher Nomaden oder haben in Klostern gelebt und suchten deshalb in der Schweiz jahrelang vergebens eine Stelle. Wir haben versucht, möglichst viele Tibeterinnen und Tibeter aufzunehmen und diese auch zu fördern. So bieten wir heute zum Beispiel gratis Deutschkurse an.

Wie wichtig ist Tenz Momo für die tibetische Diaspora in der Schweiz?

Ich hatte in der Vergangenheit immer wieder Interviewfragen von tibetischen Medien. Ich habe stets freundlich abgelehnt, weil ich nicht genau wusste, was das für mich und meine Familie bedeutet. Jedenfalls erinnere ich mich an eine Antwort, die ich nach meiner Absage erhalten habe. Darin hiess es, ich müsse unbedingt ein Interview geben. Ob ich mir überhaupt bewusst sei, dass es kein vergleichbares Unternehmen wie Tenz Momo gebe. Sie müssen sich das mal vorstellen – mit «nur» knapp über 200 Angestellten. In dieser misslichen Lage befinden wir uns. Es zeigt aber auch, dass wir für die tibetische Community als grosser Arbeitgeber bedeutend sind.

Heute hat Tenz Momo vierzehn Standorte. Zudem verkaufen Sie Ihre Produkte an über 100 Festivals und Events sowie in Filialen von über fünfzig Geschäftspartnern, darunter Migros und Felfel. Was ist das Erfolgsrezept?

In allererster Linie ist es das Engagement und die harte Arbeit von all diesen Menschen, die mich begleitet und unterstützt haben und das weiterhin tun. Wichtig ist aber auch die Grundidee, aus der wir entstanden sind und die uns noch immer begleitet: Wir sind kein rein gewinnorientiertes Unternehmen, sondern wir versuchen, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun.

Weshalb sind Ihre Momo bei den Menschen so beliebt?

Momo sind zeitgemäss. Es ist Fingerfood, ein Sharing-Produkt, das zum gemeinsamen Essen, aber auch zum Mitnehmen funktioniert. Und die Teigtaschen sind gefüllt mit unserer Geschichte, mit unserer Kultur und mit den Menschen, die sie falten. Wir falten die Momo von Hand, also nach traditioneller Art und Weise. Das macht es aus.

So sehen die tibetischen Teigtaschen von Tenz Momo aus. Bild: zvg

Können Sie Ihr persönliches Gefühl beschreiben, wenn Sie im Migros einkaufen und im Regal die eigenen Momo sehen?

Es ist immer ein spezieller Moment, wenn ich vor dem Regal stehe. Ich erinnere mich noch an die Lancierung in den Filialen. Dort hatte ich wirklich Tränen in den Augen, als ich sah, wie sich die Leute auf Instagram darüber freuten. Migros hat uns gesagt, sie haben in ihrer Geschichte noch nie erlebt, dass ein Produkt so emotional aufgenommen wurde. Überwältigend war auch der Moment, als ich von der Migros-Anfrage erstmals erfahren habe. Als Flüchtlingskind ist die Zusammenarbeit mit so einem Unternehmen eine Bestätigung. Ich – mit unserer Kultur – bin in der Schweiz angekommen. Ich glaube, für jede Tibeterin und jeden Tibeter ist das etwas Spezielles, gerade als unterdrücktes Volk, wenn im Migros-Regal eine tibetische Chili-Sauce steht.

Sie sprechen die Flucht aus Tibet an. Können Sie erklären, weshalb Ihre Familie aus Tibet geflüchtet ist?

Wir sind geflüchtet, weil meine Eltern die Situation nicht mehr aushielten. Meine Eltern sprechen nicht gerne darüber, aber es war der ständige Druck der chinesischen Regierung, die Grundrechte, die uns nicht gewährt wurden. In Tibet gibt es eine systematische Unterdrückung, wodurch Tibeterinnen und Tibeter als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Und besonders wenn man Kinder bekommt, fragt man sich, welche Zukunft man ihnen geben will.

Wie ist die Situation in Tibet heute?

Die Situation verschlechtert sich ständig. Die zwei wichtigsten kulturellen Aspekte von Tibet sind die jahrhundertealten Klöster, in denen das ganze Wissen vom tibetischen Buddhismus aufbewahrt wird, und die tibetischen Nomaden, die Träger der Kultur. China versucht, diese Kultur auszulöschen, indem sie die Nomaden in die mittlerweile stark chinesisch geprägten tibetischen Städte zwangsumsiedelt. Auch die Klöster, von denen China Tausende zerstört hat, stehen unter extremen Restriktionen. Die schlimmste und jüngste Entwicklung spielt sich bei der Bildung von Kindern ab. In den Schulen wird mittlerweile nur noch Chinesisch und nicht mehr Tibetisch unterrichtet. Da geht man jetzt wirklich an die Wurzeln und versucht, die ganze tibetische Kultur zu zerstören.

Wie lässt sich Ihr Unternehmen in diesem politischen Kontext einordnen?

Wir orientieren uns nicht per se politisch. Wir wollen mit Essen Menschen erreichen, zusammenbringen und ihnen unsere Kultur in einer ungezwungenen Art und Weise näherbringen. Es geht also vielmehr um kulturelle Aspekte und Kulturerhaltung. Zu diesem Zweck unterstützen wir auch tibetische Kulturprojekte. Ein Beispiel ist das Tibet Film Festival, das wir seit Jahren sponsern und unterstützen. Ein weiteres Beispiel ist unsere Partnerschaft mit dem Film «Wisdom of Happiness», einem Film über den Dalai Lama, der im Dezember in die Schweizer Kinos kommt. Wichtig ist aber auch zu sagen, dass wir nicht ausschliesslich tibetische Projekte und Organisationen im Kulturbereich unterstützen.

Tenzin Tibatsang will den Menschen mit seinen Momos die tibetische Kultur näherbringen. Bild: Andrea Zahler

Dürfen sich die Limmattalerinnen und Limmattaler neben der Take-away-Filiale in Schlieren bald auf mehr Momo freuen?

Bisher leider nicht. Vielleicht überlegen wir uns nach diesem Gespräch etwas. (Lacht.)

Zum Schluss noch die Frage: Falten Sie auch heute noch Momo?

Schon länger nicht mehr, wenn ich ehrlich bin. Aber ich lasse mich immer wieder mal hinreissen, wenn ich an einem Festival bin oder bei einem Rundgang. Ich vermisse das schon, denn es ist sehr meditativ und weckt viele schöne Erinnerungen in mir. Intern haben wir mal gesagt: «Momo machen ist wie Geschenke verpacken.» Es ist eine befreiende, schöne Arbeit.


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